Sicher im Sport

Shownotes

Forschungsprojekt Safe Sport Forschungsprojekt Sicher im Sport Portal Geschichten, die zählen Runder Tisch Zentrum für Safe Sport Projekt Schutzkonzept im Ehrenamt

Transkript anzeigen

00:00:00:17 - 00:01:27:17

Ekin Deligöz

KINDERCHANCEN - KINDER SCHÜTZEN. Willkommen zu unserem Podcast. Am Mikrofon ist Ekin Deligöz. Mein Gesprächspartner ist Jörg Fegert. Wir setzen heute das Thema Kinder und Jugendliche im Sport besser vor sexuellem Missbrauch schützen. Warum? Weil das ein immer wiederkehrendes Thema ist. Wir wollen, dass unsere Kinder und Jugendliche Sport machen. Wir wollen, dass sie in dieser Freizeit mit Bewegung verbringen. Die Corona-Studien sind geradezu erschreckend, wenn wir erfahren, dass unsere Kinder und Jugendlichen inzwischen 44 % weniger sich bewegen mit Konsequenzen auf ihr Leben, auf ihre Gesundheit und auf ihre psychische Konstitution. Deshalb wollen wir das auch fördern. Auch die Mitgliedschaften in Sportvereinen. Gleichzeitig gibt es Ängste. Was passiert eigentlich beim Fußball, beim Schwimmen, beim Turnen? Sport ist wichtig für ein gesundes Aufwachsen. Aber es ist auch ein Ort der Gefahr. Ein Ort, wo Kinder und Jugendliche vom sexuellen Missbrauch betroffen sind oder andere Formen von Gewalt erleben. Was können wir tun, um unsere Kinder zu schützen, aber auch ihre Chancen zu steigern? Ich fange bei meinen Fragen gleich mal damit an. Lieber Jörg Fegert, warum ist eigentlich Kindesmissbrauch im Sport so oft ein Tabuthema?

00:01:28:07 - 00:03:21:08

Jörg Fegert

Der Sport hatte, wenn man es zynisch ironisch sagen wollte, Glück, dass 2010 alle zunächst auf die katholische Kirche und dann auf die Reformschule geschaut haben. Am Runden Tisch Sexueller Missbrauch saß auch der Deutsche Olympische Sportbund mit dabei. Du erinnerst dich? Wir waren ja beide in unterschiedlichen Funktionen dabei und der Sport ist einfach nur abgetaucht und hat so getan, “Uns geht es nichts an, wir wissen auch nicht, warum wir hier sitzen und wir sind auf jeden Fall gegen den Führungszeugnis.” Der Sport hat sehr, sehr lange blockiert und muss jetzt erleben, dass ein Skandal nach dem anderen thematisiert wird. Was ja nicht überraschend ist. Wir wussten das aus verschiedenen Studien, dass heutzutage sogar Übergriffe im Sport häufiger sind als im Kontext der Kirchen, weil der Sport in der Jugendarbeit eine deutlich höhere Bedeutung hat. Es gibt vielleicht Spezifika, da können wir ja gerade noch drüber reden. Aber zuerst will ich mal sagen, alle Felder, wo wir uns intensiv mit Kinder und Jugendlichen auch ehrenamtlich befassen, sind natürlich auch gefahrgeneigte Felder für Übergriffe. Das kann für den Jugendchor genauso gelten wie für die Blaskapelle oder die Jugendfeuerwehr. Und mir ist es wichtig, dass man nicht immer quasi ein Gebiet durchs Dorf jagt und sagt Das sind jetzt die Schlimmen, sondern das ist die strukturelle, das strukturelle Machtverhältnis. Und deshalb braucht es auch für alle Vereine, für den ganzen Bereich des Ehrenamts eine Antwort, die in der Haltung der Trainer, in der Haltung derjenigen, die Jugendarbeit machen, bestehen, die das als Privileg ansehen. Mit Kindern arbeiten zu können, die sagen, Ich bring nicht nur ein Führungszeugnis, sondern ich bin mir bewusst, ich habe eine Bringschuld. Wenn Eltern mir Kinder anvertrauen, dann muss ich deutlich machen, wie ich diese Kinder respektiere und wie ich die Kinder schütze.

00:03:22:15 - 00:04:49:00

Ekin Deligöz

Tatsächlich sind wir hier auch nicht im luftleeren Raum, sondern wir haben auch ein paar Forschungsprojekte dazu. Zum Beispiel im Safe Sport-Forschungsprojekt steht drin, dass 37 % der Athletinnen im Leistungssport mindestens eine Form von sexualisierter Gewalt erlebt haben. Beim Forschungsprojekt Sicher im Sport von der Universität Wuppertal kommt raus, dass zum Breitensport 19 % der TeilnehmerInnen ungewollte sexuelle Berührungen erlebt haben oder Handlungen. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung reden wir von mehr als 200.000 Menschen in Deutschland, die sexualisierte Gewalt im Breitensport erlebt haben. Und diese Form von sexualisierter Gewalt kommt in ganz verschiedenen Formen rüber. Sei es exhibionistisches Handeln, Fotografieren in der Umkleide, anzügliche Kommentierungen des Körpers, Präsenz des Trainers in der Dusche, in der Umkleide, sexistische Witze als Massage, getarnte Übergriffe, Grapschen. Und so weiter und so fort. Und wir reden nicht nur von Vergewaltigung oder sexueller Nötigung, sondern von vielen Formen, die Spuren hinterlassen, auch emotionale Spuren hinterlassen. Was können Sportverbände selber tun, um sensibel damit umzugehen, um Risiken zu verhindern und Menschen, TeilnehmerInnen zu schützen?

00:04:49:16 - 00:08:09:04

Jörg Fegert

Ich denke, es ist ganz wichtig, Beschwerde Wege aufzubauen und ein Klima zu schaffen, wo man auch erfolgreichen Trainern auf die Finger schaut. Wir sind ja mit der Forschung gestartet, mit dem Projekt Safe Sport. Das war eine Kooperation zwischen Ulm und der Sporthochschule in Köln und haben gesagt, genau dieser Leistungssport ist natürlich ein Hochrisikobereich, weil Eltern wollen, dass ihre Kinder im Verein aufgestellt werden, dass ihre Kinder im Wettkampf quasi den Verein vertreten dürfen. Und dadurch entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis vom Trainer. Wir waren dann aber trotzdem von diesen extrem hohen Zahlen, die noch mal deutlich über dem Breitensport liegen, überrascht. Und dadurch kann man noch mal sehen, wie stark dieses Abhängigkeitsverhältnis dazu führt, dass man nicht hinschaut, obwohl man die Dinge wahrnimmt, in der amerikanischen Olympiamannschaft bei den Turnerinnen war das ja ein dramatischer Skandal. Wo brutale Trainer die Mädchen terrorisiert haben, also emotionale Misshandlung, die ja auch schwerste Folgen hinterlässt, auch in Bezug auf das Gewicht, wie sie essen durften. Und dann gab es einen verständnisvollen Mannschaftsarzt, der die Mädchen massiert hat und dabei sie massiv sexuell missbraucht hat. Und das ist dann langsam herausgekommen. Mittlerweile gibt es einen extrem beeindruckenden Dokumentarfilm darüber und der zeigt in den Interviews dieser betroffenen Frauen, die Goldmedaillen gewonnen haben, die jeder Mensch in den USA kennt, wie dieses System Sport dazu geführt hat, dass sie abhängig waren, dass niemand was sagen konnte und wie die Eltern denen auch nicht geglaubt haben, weil sie diese Trainer angehimmelt haben, weil sie Erfolge gebracht haben. Und das jetzt runter gekocht auf die regionale Ebene, auf kleinere Kinder zeigt, welche Verantwortung Personen haben, die im Sport entscheiden. Wer darf was machen, wer darf spielen auf dem Feld? Und so weiter. Das ist quasi die spezifische Macht neben dem Nähe-Verhältnis. Und der Schweizer Sport hat zum Beispiel das Thema sehr früh aufgegriffen. Nachdem sie Skandale hatten und die haben, finde ich, tolle Regelungen, dass jeder Sportverein sich mit diesem Thema auseinandersetzen muss. Und die verlangen zum Beispiel vom Vereinsvorstand, in dem ja häufig Lokalpolitiker sind, und Leute, die gar nicht mehr so sportlich unterwegs sind - ich sage das jetzt mal ein bisschen ironisch - dass der einmal im Jahr wenigstens mit dem Platzwart redet, weil der Platzwart vor Ort sieht, wer mit wem duscht, sieht, was da abgeht. Also man braucht den Blick von unten und den kann man fördern, indem man Workshops macht. Wir führen ja gerade auch im Auftrag des Bundesfamilienministeriums ein eLearning-Programm zu, wie man Ehrenamtliche ermutigen kann, Schutzkonzept im Sportverein zu machen. Das kann man nicht so groß machen wie in einer Institution. Aber es geht vor allem um Bewusstsein. Wir durften ja beide in einer Veranstaltung dieses Programm eröffnen. Und ich glaube, das ist wirklich wichtig, dass die Sportvereine das nicht als Auflage oder Schikane sehen, sondern einfach als eine riesige Chance, besser zu werden. Es ist wie beim Doping. Es musste zuerst mal ein Bewusstsein entstehen und dann wird man eigentlich besser, wenn man sich dem stellt.

00:08:09:14 - 00:08:24:15

Ekin Deligöz

Tatsächlich wollte ich jetzt noch mal nachfragen. Ihr habt ja bei euch dieses Schutzkonzept im Ehrenamt-Projekt. Ich hatte die Ehre, dazu eine Eröffnungsrede zu halten und ich war ganz angetan davon. Willst du mir ein bisschen Näheres darüber berichten, wie ihr da vorgeht?

00:08:24:16 - 00:10:06:11

Jörg Fegert

Ja. Wir haben zuerst mal gedacht, wir brauchen eigentlich eine zweistufige Ebene. Wir brauchen eigentlich diejenigen, die die ganz Frischen in der Jugendarbeit anleiten. Weil in jedem Verein gibt es welche, die, die betreuen, die brauchen immer ein bisschen was Vertieftes, wo wir auch was sagen überhaupt über das Risiko von Misshandlungen, Missbrauch, über Teilhabe von Kindern, damit die Multiplikatoren sein können im Sportverein. Und dann brauchen wir was ganz Kurzes, was man an einem Nachmittag machen kann. Für alle, die Jugendleiter werden wollen. Und wir haben die große Hoffnung, da haben wir auch schon Gespräche, dass das mit der Jugendleiter Card, der Juleika, die einen quasi befähigt, so eine Funktion im Verein zu übernehmen, verbunden und verknüpft werden kann, sodass wir sagen können, jeder, der in Zukunft solche Verantwortung übernimmt, hat wenigstens mal sich mit der Thematik auseinandergesetzt. Weil mir ist es wichtig, dass man am Anfang sagt, das ist absolut wichtig, wenn ich Verantwortung für andere Menschen im fast gleichen Alter übernehme, habe ich trotzdem, wenn ich damit Macht habe, eine andere Verantwortung und bestimmte Dinge gehen einfach nicht. Und das ist das zentrale, in diesem Fall sage ich mal, ganz breit gestreuten Bereich. Und wir probieren das gerade experimentell aus. Wir beziehen Vereine ein, wo wir auch versuchen, dass alles gemacht wird, auch von den höheren Hierarchieebenen das gleiche Programm gemacht wird und die Neuankömmlinge alle das andere Programm bekommen, weil wir sehen wollen, ob das funktioniert. Das ist ja der Charakter von dem Modellprojekt. Und wenn es dann funktioniert, hoffen wir, dass wir das wirklich sehr breit aus senden können.

00:10:06:24 - 00:10:52:02

Ekin Deligöz

Ein Ergebnis am Runden Tisch Sexueller Missbrauch war ja auch, dass wir Kinder und Jugendliche stark machen müssen. Stark machen, nein zu sagen, darüber zu reden, Situationen auch in die Öffentlichkeit zu tragen. Das hat dazu geführt, dass es inzwischen viele Projekte gibt, sogar schon in den Kindergärten, wo man den Kindern beibringt, du darfst Nein sagen. Und wenn etwas Schlimmes passiert und du redest darüber mit deiner Erzieherin oder mit einem anderen Erwachsenen, ist es nicht verpetzen, sondern das ist richtig, sehr kindgerecht an anderen Stellen jugendgerecht an den Schulen. Hilft es, also bringt das was und wird es auch praktiziert, diese Kinder und Jugendliche stark machen um, damit sie sich selber auch wehren können?

00:10:52:09 - 00:13:44:24

Jörg Fegert

Soll ich politisch korrekt antworten oder meine Meinung sagen? Ich sage mal meine Meinung. Also natürlich ist es wichtig, dass wir das machen. Das Problem ist und das ist wie so ein Paradoxon Wir schaffen es, die Kinder stark zu machen, die ohnehin oft auch in den Familien gestärkt werden. Und es ist, glaube ich, eine Illusion zu denken, dass wir, dadurch, dass wir in der Schule mal einen Fachtag dazu machen oder eine Kindertheatergruppe kommt, Kinder, die in ihrem Alltagsleben sich nicht ausdrücken dürfen und nichts sagen dürfen, keine Kritik üben, dann ermächtigen, was zu sagen. Alle Forschung zeigt, dass der Transfer aus solchen Projekten in die reale Umsetzung sehr, sehr schwer gelingt. Also würde ich ein bisschen um die Ecke denken, wir dürfen das nicht sein lassen, weil das ist ganz wichtig. Einfach um den Kindern auch zu sagen Ihr habt das Recht, aber wir müssen viel mehr auf die Kinder setzen, die das schon können. Also man nennt das Bystander, diejenigen, die um das Kind herum stehen. Oft erfahren wir über Missbrauch eigentlich dadurch, dass ein anderes Kind sagt, meine Klassenkameradin hat mir das anvertraut. Die Klassenkameradin traut sich das gar nicht, jemand anderes zu sagen als dem Kind. Also Kinder stark machen heißt auch Kinder stark machen, dass sie als Gruppe füreinander sorgen, heißt auch Lehrer stark machen, heißt Trainerinnen stark machen. Im Sport zum Beispiel sind die Trainer ja auch Vertrauenspersonen. Ich will die nicht dämonisieren. Wir haben gerade das Risiko angesprochen. Aber diese permanente Nähe, die sind privilegierte Ansprechpartner für Kinder. Und in der Prävention ist sicher diese Prävention, die darauf setzt, dass alle aufmerksam sind und derjenige, der angesprochen wird von Kind, es dann auch als Auftrag versteht, sich für dieses Kind einzusetzen und dann die Profis reinholt den Kinderschutzbund, alle Beratungsbereiche reinholt. Das ist, glaube ich, der erfolgreichere Weg, als die Kinder, die sich ohnehin schon nicht mehr trauen, zu hoffen, ich habe die stark gemacht. Was mir bei Jugendlichen dabei noch mal ganz besonders oft wehtut, ist, dass die dann sagen, ja, ich habe ja gewusst, ich hätte ja was sagen müssen. Oder auch wenn sie irgendwelchen Quatsch im Internet machen und sich auf Online-Grooming und Sachen einlassen Die Eltern haben es ja gesagt. Ja. Also wir müssen aufpassen, dass Prävention nicht zu einem Vorwurf wird. Die Täter haben die Verantwortung und haben die Schuld. Und auch Kinder, die nicht stark genug sind, nein zu sagen oder die jetzt neugierig sind und Dinge machen, die haben es nicht falsch gemacht. Verbockt haben es die Leute, die die Taten begehen.

00:13:45:06 - 00:13:50:01

Ekin Deligöz

Ich will mit etwas Positivem aufhören. Hat sich was bewegt in den Verbänden?

00:13:50:01 - 00:14:00:12

Jörg Fegert

Auf jeden Fall, ja. Auf jeden Fall. Auf jeden Fall. Und da sind wir den Medien auch unbedingt dankbar, weil ohne die öffentliche Debatte darüber würde sich, glaube ich, nichts verändern.

00:14:00:22 - 00:14:05:17

Ekin Deligöz

Es tut sich was. Das ist gut so! Vielen Dank, dass Sie uns heute zugehört haben.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.