Corona

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Kinderchancen: Kinder schützen. Der Podcast mit Jörg Fegert und Ekin Deligöz.

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Ekin Deligöz

Kinderchancen: Kinder schützen. Herzlich willkommen zu unserem Podcast. Mein Name ist Ekin Deligöz. Ich bin Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Frauen, Jugend und Senioren und neben mir sitzt Professor Jörg Feger aus der Uniklinik in Ulm. In der letzten Folge haben wir uns bei Ihnen schon kurz vorgestellt. Heute wollen wir einsteigen mit den aktuellen Themen unserer Zeit. Lessons Learned.

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Ekin Deligöz

geschlossene Kitas, Schulen, Jugendzentren, Sportvereine, abgeriegelte Spielplätze, häusliche Gewalt in Quarantäne, zum Teil auch in sehr beengten Wohnverhältnissen, Stress in den Familien, Stress für Kinder, Kontaktbeschränkungen, die Kinder nicht angemessen berücksichtigt haben und so vieles mehr, was unseren Kinder, Jugendlichen und Familien das Leben erschwerten.

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Ekin Deligöz

Wodurch waren Kinder in den letzten zwei Jahren besonders gefährdet?

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Jörg Fegert

Eine große Gefährdung war schon, dass man in vielen Familien, auch in beengten Verhältnissen, die ganze Zeit zu Hause war und eigentlich niemand hatte, an den man sich wenden konnte. Also wenn Kinder Hilfe suchen, gehen die ja nicht zum Beispiel zu uns direkt in die Klinik und sagen Ich werde misshandelt oder zum Kinderschutzbund. Sondern meistens reden sie mit einer Klassenkameradin, mit der Lehrerin, mit einer Kindergärtnerin.

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Jörg Fegert

Und wenn diese sozialen Kontakte nicht da waren, war natürlich eine riesige Chance weg, sich mitteilen zu können. Gleichzeitig ist man sich teilweise ja auch auf den Geist gegangen, gerade wenn man eng zusammen war, wenn man Arbeit, Familie, alles vereinbaren musste. Das heißt, die Familien sind zum Teil massiv in Stress gekommen und Leute, die sonst eigentlich das recht gut hinkriegen, waren doch auch eher mal in Gefahr, dass sie die Nerven verloren haben.

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Jörg Fegert

Und es gab gleichzeitig weniger Hilfen. Aber ich will nicht nur Negatives sagen, was mich wirklich positiv beeindruckt hat in dieser Zeit, ist, dass die Jugendhilfe-Statistik, die jedes Jahr misst, wieviele Meldungen von Verdachtsfällen es an das Jugendamt gibt und auch sagt, wie viel dann bestätigt wurden, einen riesigen Anstieg der Meldungen aus dem nachbarlichen Umfeld zeigt. Also wir haben eigentlich in der Corona-Zeit ein Ethos des Einmischens.

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Jörg Fegert

So hat es mir auch der Betroffenenrat genannt. Dadurch, dass wir mitgekriegt haben, was in der Nachbarwohnung abgeht, haben ganz viele Menschen die Verantwortung übernommen und sagen, das kann so nicht sein mit dem Kind. Und als ich jung war, hat mal der Kinderschutzbund in Berlin ein Experiment gemacht und hat ein Tonband ablaufen lassen von einem Hund, der jault, wie wenn er geschlagen wird und von dem Kind, was weint.

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Jörg Fegert

Und was meinste wo die Leute, die vorbei gegangen sind, mehr reagiert haben?

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Ekin Deligöz

Vermutlich beim Hund.

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Jörg Fegert

Beim Hund. Genau. Also es war eigentlich in Deutschland gang und gäbe, dass man nicht reagiert, wenn Eltern ihre Kinder schlagen, wenn Eltern ihre Kinder herabwürdigen. Und da haben wir, glaube ich, in Corona was gelernt. Aber die Meldungen aus Schule und überall sind zurückgegangen, weil es halt nicht mehr stattgefunden hat.

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Ekin Deligöz

Jetzt können wir natürlich sagen, das ist eine wichtige gesellschaftliche Entwicklung, weil bis vor kurzem galt Familie einfach als etwas Privates, wo man sich nicht einmischt. Ich erinnere daran, dass bis in die späten 90er Jahre lang das Schlagen eines Kindes zu den elterlichen Züchtigungsrechten gehörte und es uns erst durch ein Recht auf gewaltfreie Erziehung gelungen ist, da eine Umkehr und Wandel in der Kultur hinzukriegen.

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Ekin Deligöz

Ich frage mich aber immer Warum ist es eigentlich so danach? Wer an welchen Kriterien hängt es, dass manche Kinder auf der Strecke bleiben und andere Kinder eigentlich schwimmen wie Fisch im Wasser und ganz gut durchkommen? Was ist der Punkt, wo Kinder Resilienz entwickeln und gut durchkommen? Und welche Kinder bleiben zurück?

00:04:50:20 - 00:05:16:01

Jörg Fegert

Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil die Schere ist jetzt wirklich auseinander gegangen. Wir sind natürlich alle nach diesen zwei Jahren irgendwo fertig wegen Corona. Ich glaube, die Lebensqualität, zeigen auch alle Messungen, ist schlechter geworden. Aber die Kinder, die wirklich massive Nachteile hatten, die kann man daran erkennen, dass sie eigentlich bestimmte Risiken im Aufwachsen haben.

00:05:16:13 - 00:05:44:10

Jörg Fegert

Zum Beispiel die Kinder in den Familien, die plötzlich in massive Existenznöte gekommen sind. Du und ich, wir durften ja weiterarbeiten. Also wir mussten unter veränderten Bedingungen arbeiten. Wir hatten auch viel Stress. Es gab ganz viel zu bewältigen, aber wir hatten unseren Job. Manche Familien hatten von einem Tag auf den anderen quasi ihre Existenz in Frage gestellt und das ist natürlich, das weiß man auch aus den großen Wirtschaftskrisen, das ist ein Risiko für Kinder.

00:05:44:10 - 00:06:24:05

Jörg Fegert

Deshalb besorgt mich jetzt auch die Ukraine-Situation, die hohe Inflation, die Schere geht auseinander. Und deshalb ist es auch so wichtig, dass ihr versucht, im Parlament die Kindergrundsicherung wirklich durchzusetzen, um Chancen - wir reden ja hier über Kinderchancen - auch zu ermöglichen. Das zweite, was wir ganz klar jetzt schon mit befunden haben, ist, dass die Eltern, die selbst Gewalt in der Kindheit erfahren haben, die Eltern, denen es selbst in der Kindheit schlecht gegangen ist und die es gut geschafft haben, mit ihren Kindern, in der Situation mehr unter Stress kamen - auch Eltern mit psychischen Erkrankungen, Eltern mit Suchterkrankungen.

00:06:24:12 - 00:06:48:24

Jörg Fegert

Alle, die mehr auf Hilfen, auch auf die Frühen Hilfen angewiesen sind und die jetzt nicht bekommen haben. Ja, die hatten es deutlich schwerer. Und ganz schlimm gegangen ist es, und ich denke, da müssen wir auch noch mal drüber nachdenken, wie wir, wenn wir bilanzieren, was ist gut oder schlecht gegangen, waren die Kinder, Inklusionskinder, die zum Beispiel eine Unterstützung der Schulbegleitung brauchten.

00:06:49:09 - 00:07:14:16

Jörg Fegert

Wir haben das in einer Untersuchung gezeigt. Weil Schule nicht mehr stattfand, haben viele Ämter gesagt, es braucht keine Schulbegleitung. Der Schulbegleiter ist ja aber kein Taxi, sondern ist eine Beziehung, die schulisches Lernen mit ermöglichen soll als Chance zur Teilhabe an der Gesellschaft. Und gerade beim Lernen zu Hause am Laptop, gerade wenn es schwierig ist bei Kindern mit Behinderung, war diese Begleitung dringender nötig denn je.

00:07:15:05 - 00:07:39:06

Jörg Fegert

Wir haben über Baumärkte diskutiert, und ich konnte es hier in Ulm und Neu Ulm sehen, als auf der einen Seite Baumarkt offen war.

00:07:39:06 - 00:08:04:16

Jörg Fegert

Du hast es angesprochen Die gewaltfreie Erziehung und die Einführung ins Bürgerliche Gesetzbuch, da hat man ja damals auch gesagt,

00:08:04:16 - 00:08:17:22

Jörg Fegert

das ist Symbolpolitik. Viele halten uns heute vor, die Einführung von Kinderrechten in die Verfassung wäre auch nur symbolisch. Ich finde, Corona hat ganz klar gezeigt Wir brauchen die dringender, denn je.

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Ekin Deligöz

Da sind wir uns einig. Ich bin Mutter von zwei Kindern, und ich hatte zeitweise Angst um meine Kinder, weil sie sehr einsam waren und viele Studien in Deutschland, unter anderem von Sabine Andresen, Uni Frankfurt, haben uns gezeigt, bei den Befragungen, wie es den Kindern geht. Es haben viele Kinder gesagt, wir sind einsam und alleine, wir brauchen Andere, Peergroup, gleichaltrige Freunde, Schule, Hobbies und vieles mehr.

00:08:44:24 - 00:09:14:23

Ekin Deligöz

Aber Kinder können noch eine Weile zu Hause bleiben. Kinder müssen Vorrang haben. Und ihr habt ja bei euch noch ein sehr interessantes Projekt. Das ist nämlich die medizinische Kinderschutz-Hotline. Dort können Expertinnen, Experten, Berufsgruppen, Ärzte, Ärztinnen anrufen, um sich beraten zu lassen.

00:09:16:01 - 00:09:29:07

Ekin Deligöz

Jetzt hatten gerade in der Corona-Zeit wenige Kinder und Jugendliche Zugang zu diesen Strukturen. Aber dennoch habt ihr es ja weiterbetrieben. Kannst du uns sagen, welche Entwicklung es während der Pandemie bei den Anrufen in dieser Kinderschutz-Hotline gab?

00:09:30:00 - 00:10:14:22

Jörg Fegert

Also wir hatten natürlich, als die Praxen weitgehend zu waren und die Leute Angst hatten zum Arzt zu gehen, zum Psychotherapeuten zu gehen, zunächst mal einen Rückgang in der Nutzung. Sobald dann die Online-Sprechstunden aufgegangen sind, im ersten Lockdown schon, haben die Psychotherapeuten schon wieder regelmäßig Kinder gesehen und dann hat es wieder deutlich zugenommen. Was sich aber verschoben hat, ist, dass wir in den Fällen einen leichten Rückgang bei sexuellem Missbrauch hatten, weil diese Kinder einfach keine Chance mehr hatten, Vertrauenspersonen zu finden, während die körperlichen Misshandlungen, die schweren Vernachlässigungsfolgen, die einfach von Ärzten auch eingewiesen wurden in Krankenhäuser, weil man reagieren musste,

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Jörg Fegert

die bleiben, blieben gleich hoch. Also das zeigt uns, wir sind mit so einer Unterstützung von Fachkräften, mittlerweile berät die Hotline ja auch Jugendämter und auch Familiengerichte in medizinischen Fragen, weil die ja oft quasi, sage ich mal, die Befunde, die wir Ärzte stellen, nicht verstehen, weil wir sie nicht anständig erklären. Ja, und das ist so eine Übersetzung und Rückübersetzungsaufgabe.

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Jörg Fegert

Aber zuerst braucht es einfach quasi den Weg überhaupt ins Hilfesystem und der geht häufig wirklich über, ja, die Engländer nennen das Bystander, also Personen aus dem Umfeld. Es können Lehrer sein. Und so weiter. Und das war eingebrochen gewesen.

00:10:58:23 - 00:11:21:12

Ekin Deligöz

Der Sommer steht bevor, das Wetter ist schon ganz gut. Wir wissen nicht, was der Herbst bringen wird, aber wir wissen, dass wir vielleicht einen Teil der Pandemie überwunden haben. Und dennoch spüren wir die Spuren dessen, was wir in den letzten Jahren hinter uns gebracht haben. Wenn du mal ein bisschen in die Zukunft schaust, welche Themen bleiben, mit denen wir uns weiterhin beschäftigen müssen?

00:11:21:23 - 00:11:27:07

Ekin Deligöz

Welche Langzeitkonsequenzen müssen wir eigentlich aus diesem gelernten Schluss ziehen?

00:11:28:11 - 00:11:52:14

Jörg Fegert

Ja, ich fange mal mit dem Negativen an, um in den Positiven enden zu können, dass negative ist. Leider haben psychische Probleme eigentlich die Angewohnheit, dass sie chronifizieren. Also wir haben eine Steigerung von Ängstlichkeit bei Kindern. Wir haben mehr Depressionen. Das geht nicht von allein weg, wenn jetzt Corona vorbei ist. Also die Hoffnung, die manche auch in der Politik haben,

00:11:52:14 - 00:12:12:04

Jörg Fegert

jetzt ist der Schalter wieder umgestellt, man geht normal in die Schule und alles ist wieder gut, das stimmt nicht für diese Kinder, die eigentlich scheu geworden sind und Angst haben. Ich war neulich zum ersten Mal wieder im Theater in einem Haus, was voll besetzt war, ohne Maske. Ich habe meine Maske aufbehalten. Ich bin sicher kein, Du kennst mich ja, kein sozial ängstlicher Mensch.

00:12:12:24 - 00:12:47:16

Jörg Fegert

Also wir haben uns verändert und das muss wieder wachsen. Wir müssen ermutigt werden. Und wir haben sehr hohe Fallzahlen. Wir haben überall riesige Wartelisten. Das ist jetzt das Negative. Was wir, glaube ich, gelernt haben, ist und das hoffe ich, dass wir in Zukunft besser machen, dass gerade Übergangszeiten besonders schwierig sind. Also wenn ein Kind vom Kindergarten in die Grundschule kommt, dann hat es jetzt gar keine Chance gehabt, Kameraden zu bekommen oder von der Grundschule in die weiterführende und noch schwieriger der Übergang ins Erwachsenenalter, in den Beruf.

00:12:48:00 - 00:13:08:08

Jörg Fegert

Ja, du hast mal von deiner Tochter erzählt, wenn ich das jetzt hier erzähl, das hat mich total beeindruckt, wie die ihre Handys hingelegt haben und zusammen irgendwelche Weihnachtsbasteleien oder irgendwie gemacht haben. Also die haben, wenn eine Gruppe sich schon kennt und ein Kind sozial gut integriert ist, dann haben die es auch in diesen Zeiten geschafft, irgendwo gemeinsam zu sein.

00:13:08:19 - 00:13:35:05

Jörg Fegert

Aber wer in der Zeit in eine neue Gruppe gekommen ist, der hatte es besonders schwer. Und deshalb glaube ich, sollten wir uns auch noch mal fachlich und politisch Gedanken machen, wie wir solche Übergänge besser begleiten. Dass Übergangsmanagement, die Planung, wie kommt man in der nächsten Lebensphase an? Das ist glaube ich, was, wo wir auch positiv was draus lernen können, dass wir da wirklich mehr unterstützen müssen.

00:13:36:11 - 00:14:00:08

Ekin Deligöz

Tatsächlich ist es so, dass ich zwei Kinder habe und zumindest mal mit der jüngeren, meiner Tochter, habe ich gerade in einer Corona-Zeit sehr sehr viel gebastelt. Das war unsere Mama-Kind-Beschäftigung, Mama-Tochter-Beschäftigung und das war auch Quality Time und mit etwas positivem zu verändern. Für manche Familien war das auch eine Chance, gemeinsam Zeit zu verbringen, aber auch eine Herausforderung für die Zukunft.

00:14:00:16 - 00:14:46:08

Ekin Deligöz

Kinderchancen: Kinder schützen. Das ist Titel von diesem Podcast und an dieser Stelle erfahren Sie neue Fragen, neue Antworten auf die Fragen unserer Zeit. Gemeinsam möchten wir uns dafür stark machen, das Thema Kinderchancen und Kinderschutz voranzubringen. Danke, dass Sie mit dabei waren und mehr an Information erfahren Sie unter diesen Podcast auf den Links.

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