Gewalt in der Erziehung

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Intro: "Kinderchancen - Kinder schützen". Der Podcast mit Jörg Fegert und Ekin Deligöz.

Intro:

Intro: 00:00:21:18 - 00:02:25:04

Ekin Deligöz: Kinderchancen - Kinder schützen. Herzlich willkommen zu unserem Podcast mit Professor Dr. Jörg Fegert und mir, Ekin Deligöz, am Mikrofon. Ich bin Grüne Bundestagsabgeordnete und derzeit Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium. Heute unterhalten wir uns über das Thema Gewalt. Gewalt hat viele Gesichter und wir wollen unsere Kinder schützen. Wir wollen die besten Rahmenbedingungen für Kindheit bieten und wir wollen uns auch mit dem Begriff von "Was ist eigentlich Gewalt heute?" beschäftigen. Einschüchtern, entmutigen, beschämen, vernachlässigen, drohen, erpressen auch manchmal Überfürsorge. Gewalt körperlich, Gewalt psychisch. Gewalt hat viele Gesichter und unsere Kinder erleben so etwas leider täglich. Tatsächlich ist aber die psychische Gewalt die häufigste Gewaltform an unseren Kindern. Und gleichzeitig wird es tabuisiert. Es wird verharmlost, denn sie hinterlässt keine sichtbaren Narben. Sie ist aber genauso schädlich, mindestens genauso schädlich für Gesundheit, für Entwicklung von unseren Kindern wie körperliche Gewalt. Was können, was müssen wir dem Ganzen entgegensetzen? Was ist der nächste Schritt nach dem Recht auf gewaltfreie Erziehung? Lieber Jörg, wir haben ja jetzt 20 Jahre, eigentlich schon 21 Jahre das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Das war übrigens mein allererster Gesetzentwurf, den ich von Anfang bis zum Schluss durch begleiten durfte. Und ich war mega stolz. Als dann die Abstimmung im Bundestag und später im Bundesrat war, weil ich zum ersten Mal die Produkte meiner Arbeit damit auch ernten konnte. Du warst damals schon mit dabei und hast auch als Experte die gesamte Entstehung des Gesetzes mit begleitet. Ihr habt jetzt an der Uni Ulm nach 20 Jahren das Ganze auch ausgewertet. Zu was für Ergebnissen seid ihr gekommen?

Ekin Deligöz:

Ekin Deligöz: 00:02:25:06 - 00:04:31:06

Jörg Fegert: Das zentrale Ergebnis ist, dass diese Einführung der gewaltfreien Erziehung in das Bürgerliche Gesetzbuch keine Symbolpolitik war. Und das war, du hast das ja gerade angesprochen, das war ja die zentrale Debatte. Bewirkt man damit irgendwas oder ist das einfach nur gut gemeint? Mittlerweile wissen wir, dass in Deutschland ganz ähnlich wie in Schweden einige Jahre vorher, die waren viel früher dran als wir, die Einstellungen von Eltern sich massiv gewandelt haben. Körperliche Gewalt in der Erziehung wird heute von einem sehr großen Teil der Familien abgelehnt und das ist ein Riesenerfolg, weil sich damit auch die Aufmerksamkeit zum Schutz von Kindern verändert hat. Das ist nicht mehr die Privatsache, und Eltern schlagen ihre Kinder ja, sondern alle achten darauf. Was untergegangen ist, das hast du auch schon angesprochen, ist die psychische Gewalt. Die war ja damals mitgedacht. Da steht auch in dem Paragrafen "andere entwürdigende Erziehungsmaßnahmen". Also wenn ich ein Kinnd herabsetze, wenn ich ein Kind wirklich mobbe in einer anderen Beziehung, wenn ich das Kind für alles als schuldig erkläre an meinem ganzen Unglück im Leben, dann nehme ich dem Kind ja den Selbstwert und wir wissen aus Langzeitstudien, wir haben ja hier das Trauma-Forschungszentrum, dass die Langzeitfolgen bei dieser emotionalen Gewalt so stark und so ausgeprägt sind wie zum Beispiel bei sexualisierter Gewalt. In der öffentlichen Diskussion erschrickt aber jeder, wenn man das Thema sexueller Missbrauch anspricht und das bisschen Kind herabsetzen wird noch diskutiert - Ist das überhaupt Gewalt oder nicht? Es ist auch schwierig, bei Familiengerichten damit durchzukommen. Es ist schwierig, das zu beschreiben. Und ich glaube, wir müssen uns das deutlicher machen für die Prognose, für die Entwicklung des Kindes und das heißt ja Kindeswohlgefährdung, wie kann das Kind aufwachsen? Ist es gefährdet, massiv gefährdet in seiner Entwicklung? Ist es eine schlimme Gewaltform?

Jörg Fegert:

Jörg Fegert: 00:04:31:14 - 00:05:15:08

Ekin Deligöz: Jetzt fallen mir ganz viele so Sätze ein, die in der Erziehung gar nicht so selten sind. So was wie Hey, das schaffst du eh nicht, du bist viel zu dumm oder Das überfordert dich oder Wenn du das oder jenes nicht machst, dann fällt ein Kindergeburtstag aus, dann darfst du nicht zu deiner Freundin gehen, dann kriegst du abends nichts zum Essen, du musst früher ins Bett oder ganz, ganz schlimme Formen, womöglich Liebesentzug von Vater Mutter gegenüber dem Kind. Missachtung, nicht reden, schweigen, anschweigen, Bestrafung durch Ignorieren. Manche würden sagen Na ja, irgendwie muss ich das Kind ja erziehen und die Grenzen spüren lassen und dass es Konsequenzen des Handelns gibt. Andere wiederum sagen Hm, ist das vielleicht psychische Gewalt? Wo fängt psychische Gewalt an?

Ekin Deligöz:

Ekin Deligöz: 00:05:16:02 - 00:06:42:17

Jörg Fegert: Psychische Gewalt fängt da an, wo sie systematisch eingesetzt wird. Also, dass Eltern mal ein schlechtes Wort gegenüber dem Kind wie auch gegenüber dem Partner aus dem Mund rutscht. Wir sind alle keine Automaten und wir haben Emotionen und wir haben auch unsere schlechten Momente. Ja, da habe ich vollstes Verständnis. Und Eltern brauchen, gerade wenn ihnen das immer wieder passiert und sie ja eigentlich daran verzweifeln, auch Unterstützung. Da finde ich, müssen wir sowieso auch noch mal stärker drüber reden. Es geht nicht um die Kinder, sondern wie machen wir eine Welt, wo Eltern auch besser erziehen können? Aber es beginnt da, wo ich das systematisch mache. Das ist ja manchmal, es gibt ja diesen Begriff schwarzes Schaf der Familie im ganz normalen Umgang mit allen Kindern, bis auf eines.

Jörg Fegert: Und das eine kriegt es immer drüber gebraten. Und diese Kinder haben ein ganz hohes Entwicklungsrisiko. Und deshalb ist es, glaube ich, schon wichtig, dass wir für diese Sprüche, wie du sie grad rausgehauen hast, sensibilisieren. UNICEF hat ja eine Kampagne gemacht, wo man solche Sätze angefangen hat und mal alternative Satz Ergänzung denken konnte. Also solange du deine Füße unter meinen Tisch trägst - dann weitersagen - möchte ich, dass es dir gut geht. Und wie bringt man Eltern dahin, dass man sie dabei unterstützen kann?

Jörg Fegert:

Jörg Fegert: 00:06:42:21 - 00:08:26:19

Ekin Deligöz: Tatsächlich hat uns genau dieses Thema ja in ganz vielen Runden Tischen unter anderem ja auch beim Runden Tisch Sexueller Missbrauch beschäftigt. Eines der besten Produkte, die Deutschland hervorgebracht hat, ist meines Erachtens der Bereich der Frühen Hilfen. Dass man Eltern gleich nach der Geburt unterstützt, ihre Kinder zu verstehen. Wenn ein Baby schreit, warum schreit es? Was kann ich tun? Wie kann ich Empathie entwickeln? Oder eine Folge vom Recht auf gewaltfreie Erziehung ist der Lehrgang "Starke Eltern, Starke Kinder", inzwischen auch digitalisiert. In vielen Sprachen zur Verfügung, mit tollen Curricula, die dazu erarbeitet werden. Wissenschaftlich ausgewertet. Einer der besten Elternkurse, die Deutschland zu bieten hat. In der Anfangszeit waren auch alle Kurse ausgebucht. Inzwischen übrigens auch. Allerdings stellen wir natürlich fest, dass wir nur einen bestimmten Kreis von Eltern, die ohnehin schon sensibel sind, erreichen und sie auch dazu befähigen und darin unterstützen, ihre Kinder gewaltfrei zu erziehen. Wir müssen, glaube ich, im Folgenden uns Gedanken darüber machen Wie erreichen wir auch Menschen, die wir nicht natürlich über solche Angebote erreichen? Und dazu gehört es sicherlich nach wie vor auch, mit Kampagnen, mit Sensibilisierung, mit Aufklärung zu arbeiten. Und dazu soll ein Stück weit ja auch unser Podcast dienen - Menschen zu gewinnen, hinzugucken und sensibel zu reagieren. Dass Gewalt viele Formen und viele Gesichter hat und dass Kinder und Jugendliche manchmal auch Hilfe brauchen, wenn sie Opfer werden davon. Wenn es so kommt, wohin können sich eigentlich Kinder und Jugendliche wenden?

Ekin Deligöz:

Ekin Deligöz: 00:08:27:04 - 00:09:47:12

Jörg Fegert: Also ganz niederschwellig zum Beispiel die Nummer gegen Kummer. Man kann anrufen und zuerst mal die eigenen Gedanken sortieren. Was ich immer wichtig finde, Kinder und Jugendliche können sich an zahlreiche Beratungsangebote in den Kommunen wenden, aber das ist oft zu hochschwellig. Die wissen das gar nicht. In der Regel sprechen Kinder und Jugendliche, die Hilfen brauchen, eine Kindergärtnerin an, eine Lehrerin an ihr direktes Umfeld. Da, wo sie Menschen erlebt haben, wie die im Alltag mit Kindern umgehen, das sind für sie glaubwürdige Ansprechpartner. Viele Kinder, denen es zu Hause schlecht geht, fliehen sich zu anderen Eltern nach Hause, sind dort in der Familie zu Gast, essen dort mit und vertrauen sich dort an, also die Kinder suchen ihre Wege und sie gehen nicht quasi ins Internet und gucken, welche Reputation hat Professor Fegert,

Jörg Fegert: wie politisch einflussreich ist Frau Deligöz? Sondern die gucken sich Menschen an, wie sie im Alltag handeln und vertrauen sich denen an, und deshalb müssen wir immer wieder hinkriegen, wie diese Erstansprechpartner, diese privilegierten Menschen, die davon erfahren, wie die den Weg dann in die Hilfen, zum Beispiel zum Jugendamt, wie die dann finden zum Kinderschutzbund und wie die dann die Eltern und die Kinder unterstützen können.

Jörg Fegert:

Jörg Fegert: 00:09:48:03 - 00:10:38:13

Ekin Deligöz: Es gibt eine Lebensrealität, reale Situation, mit der glaube ich, so ziemlich jeder von uns mal im Leben konfrontiert war, sei es mal beim Supermarkt oder auf der Straße oder bei einem Fest oder was auch immer. Ein Kind wird, von den offensichtlichen Bezugspersonen, vielleicht Mutter oder Vater auf der Straße beschimpft, angeschrien, beschämt, niedergemacht und man bekommt es mit und weiß nicht so richtig, soll ich jetzt eingreifen? Soll ich lieber mich wegducken? Geht mich das überhaupt was an? Bei körperlicher Gewalt schreiten viele tatsächlich schon ein, aber bei diesen klassischen psychischen Geschichten, wo man mitleidet, das auch mitkriegt, aber sich so hm, nicht so sicher ist, wie man sich verhalten soll. Was sagst du da als Experte? Greift man da ein, guckt man weg?

Ekin Deligöz:

Ekin Deligöz: 00:10:38:19 - 00:11:52:12

Jörg Fegert: Ich habe eine Art Slogan versucht zu prägen. In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung habe ich geschrieben Wir brauchen eine Kultur des Einmischen. Wir müssen verstehen, man sagt ja immer in diesem afrikanischen Sprichwort, ein Kind braucht ein ganzes Dorf, um gesund aufwachsen zu können. Im Artikel sechs Grundgesetz steht, dass es das Privileg der Eltern ist, die Kinder zu erziehen. Aber darüber wacht die staatliche Gemeinschaft. Das sind wir alle. Und wenn es schiefgeht, dann sind wir auch als Eltern froh, wenn uns jemand die Hand reicht und sagt Hey, du, das ist gerade nicht so gut, kann ich Ihnen im Moment das Kind abnehmen. Oder kann ich Ihnen die Sachen im Wagen tun? Im Supermarkt? Man kann ja eine Unterstützung damit verbinden, aber weggucken hilft nicht.

Jörg Fegert: Als ich ganz jung war, hatte der Kinderschutzbund in Berlin ein Experiment gemacht. Die haben ein Tonband damals laufen lassen mit Hundegeheul und mit Kinderweinen und haben geguckt, wo mehr Personen, die vorbeilaufen, auf der Straße reagieren. Wie es ausgegangen ist, kannst du dir denken. Beim Hund haben mehr Leute eingeschritten, um den zu schützen, während das schreiende Kind hat man ignoriert. Und da müssen wir weg. Wir haben da alle mehr Verantwortung.

Jörg Fegert:

Jörg Fegert: 00:11:52:16 - 00:13:10:23

Ekin Deligöz: Tatsächlich habe ich auch so etwas erst vorgestern erlebt. Wir saßen gerade beim Kaffee und Kuchen, so im Familienkreis nach. Früher Nachmittag, 17:00 und plötzlich schrie auf der Straße ein Kind ganz fürchterlich, ganz, ganz hysterisch laut. Und alle, wirklich alle, rannten raus in die Gärten, auf die Terrassen, auf die Balkone, um zu gucken Was ist denn da los? Dann war es so ein 10-jähriger Junge, und der schrie "Ich will aber nicht rausgehen". Die Mutter kam, machte die Tür auf, nahm den Sohn rein. Alles war ruhig, alles war still. Manche fragten Was ist denn da los? Etwas später traf ich dann die Mutter ganz zufällig draußen und meinte Geht es denn Ihrem Kind wieder gut? Und sie sagte Ja, wissen Sie, mein Kind spielt einfach zu viel Computer und wir hatten da einen Disput. Und früher haben die Kinder immer Hausarrest gekriegt und ich schicke meinen Sohn dann immer mal raus und sagte Lauf einmal um den Block, so um ihn einzuschränken.

Ekin Deligöz: Und dieses Kind wollte einfach partout nicht raus. Aber so wie er geschrien hat, hat er am Ende gesiegt. Immer siegen, kämpfen. Irgendwie gehören sie zum Erwachsenwerden dazu. Aber Gewalt ist keine Erziehung. Darauf sollten wir uns, glaube ich, gemeinsam einigen. Aber in so einer Situation, welchen Tipp gibst du da der Mutter?

Ekin Deligöz:

Ekin Deligöz: 00:13:10:24 - 00:14:14:19

Jörg Fegert: Das Wichtigste ist, dass man nicht gewinnen muss, dass man nicht siegen muss, sondern dass der Junge mitkriegt, dass sie sein Verhalten falsch findet und dass sie Alternativen vorschlägt. Und wenn man erhobenen Hauptes dann trotzdem im Gespräch bleibt und das zeigt ja, die Mutter konnte mit dir drüber reden und war sicher froh, auch mal mit jemand drüber reden konnten, weil da schweigen ja alle. Ja, dann geht es weiter. Beim kleinen Kind muss man darauf beharren, dass das Zimmer aufgeräumt wird und scheitert auch daran. Wer mit den 16-jährigen noch darüber hangelt, ob er sein Zimmer aufräumt, der hat irgendwo mal den Anschluss an die Zeit verpasst. Da geht es um andere Sachen. Probierkonsum von Drogen, alle möglichen großen Probleme. Wichtig ist eigentlich, dass Eltern dranbleiben und dass die Kinder wissen, wenn ich wirklich Mist gebaut habe und wenn es hart auf hart kommt,

Jörg Fegert: meine Eltern sind für mich da, dass sie sich auch wirklich trauen, mit allem zu den Eltern zu kommen. Und wenn man das immer vermittelt und nicht verbissen meint, man muss in der Erziehung immer siegen, dann siegt man auf der Langstrecke.

Jörg Fegert:

Jörg Fegert: 00:14:14:24 - 00:14:45:03

Ekin Deligöz: Gewalt ist keine Erziehung, auch psychische Gewalt nicht. Kinderchancen - Kinder schützen, das ist unser Thema hier im Podcast. Danke, dass Sie dabei waren.

Ekin Deligöz:

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